Man sollte meinen, dass es sich dem Namen nach bei Micro Four Thirds um ein besonders kleines Kamerasystem handelt. Zum Glück ist das bloß ein großes Missverständnis. Es gibt und gab kleine, kompakte Micro-Four-Thirds-Kameras. Tatsächlich war die Panasonic G1 bei ihrem Erscheinen 2008 die kleinste digitale Systemkamera, und auch Olympus setzte mit der E-P1 in Verbindung mit dem 17mm Pancake zunächst auf geringe Ausmaße. Da liegt der Schluss nahe, bei Micro Four Thirds handele es sich um eine Ideologie der Miniaturisierung mit dem Ziel, ein System zu erschaffen, das zwar klein und handlich ist, aber trotzdem gute Fotos macht.
Nun gab es den Four-Thirds-Standard bekanntlich schon früher. Dieser Standard bezog sich auf die Sensorgröße und das Sensorformat. 2003 baute Olympus die erste digitale Kamera gemäß dem neuen Standard. Sie war für den professionellen Einsatz gedacht und daher als robuste Spiegelreflexkamera konstruiert.
Als fünf Jahre später der Micro-Four-Thirds-Standard ins Leben gerufen wurde, änderte dies keineswegs etwas an der Sensorgröße. Die entscheidende Änderung betraf das Auflagemaß der Objektive. Dieses wurde verkürzt, mit der Prämisse, dass man fortan Systemkameras ohne Spiegel bauen würde. Durch den neuen Standard wurden also zwei Dinge möglich: der Verzicht auf einen Spiegel sowie die Entwicklung kompakter Objektive, deren Berechnung weniger Kompromisse erfordern, da sie näher am Sensor liegen.
Ob die Bezeichnung des neuen Standards als Micro Four Thirds wirklich glücklich war, darüber lässt sich streiten. Die Assoziation einer Verniedlichung war nicht gerade hilfreich, wenn es darum ging, das System als ernsthafte Alternative für Profis und ambitionierte Amateure zu etablieren. Wer sonst sollte sich aber für ein relativ teures System mit Wechselobjektiven interessieren?
Zum Glück besann man sich bei Olympus und Panasonic bald eines Besseren. Beide Firmen bauten mit der Zeit Kameras und Objektive, bei denen nicht die Kompaktheit im Vordergrund steht, sondern die Kompromisslosigkeit. Wenn man sich heute eine Panasonic G9 zusammen mit dem Leica Vario-Summilux 10-25mm F/1.7 ansieht, kommt man nicht mehr auf die Idee, dass es sich bei Micro Four Thirds um ein ausgesprochen kleines System handeln könnte.
Der Begriff Micro innerhalb des Standards ist bloß noch das Relikt einer verunglückten Namensgebung. Der Name ist hier keineswegs Programm, es sei denn, man versteht ihn im Sinne kleinstmöglicher Kompromisse – so wie es ursprünglich einmal gedacht war. Die mögliche Kompaktheit ist nur ein Aspekt des Systems, wahrscheinlich nicht einmal der wichtigste. Zuverlässigkeit, Robustheit, Schnelligkeit, Leistungsfähigkeit ergeben ein Gesamtbild, welches darüber entscheidet, ob ein System für meine Zwecke geeignet ist oder nicht. In dieser Hinsicht braucht Micro Four Thirds sich vor keinem anderen System zu verstecken.